Soll- oder Ist-Besteuerung? In diesem Artikel erfährst Du, wie beide Methoden funktionieren, welche Vor- und Nachteile sie haben und ob Du zur Ist-Besteuerung wechseln kannst.
Überblick: Soll- und Ist-Besteuerung einfach erklärt
Im Hinblick auf die Umsatzsteuer gibt es in Deutschland zwei Besteuerungsverfahren: die Soll- und die Ist-Besteuerung. Der Unterschied liegt im Zeitpunkt, wann die Umsatzsteuer ans Finanzamt abgeführt werden muss.
Bei der Soll-Besteuerung zählt der Zeitpunkt der Rechnungserstellung – die Zahllast entsteht also unabhängig davon, ob das Geld schon auf dem Konto ist. Die Ist-Besteuerung hingegen erlaubt es, die Umsatzsteuer erst dann zu zahlen, wenn der Betrag tatsächlich eingeht.
Welche Methode Du nutzen darfst, hängt von Deinem Umsatz und Deiner Unternehmensform ab und hat direkte Auswirkungen auf Deine Liquidität.
Was ist die Soll-Besteuerung?
Bei der Sollversteuerung entsteht die Umsatzsteuerpflicht bereits beim Ausstellen der Rechnung – unabhängig davon, ob das Geld schon eingegangen ist. Diese Regelung gilt üblicherweise für bilanzierungspflichtige Betriebe und ist gesetzlich in § 16 UStG festgehalten.
Du musst die Umsatzsteuer in Deiner Umsatzsteuervoranmeldung angeben, sobald Du die Leistung erbracht und eine Ausgangsrechnung geschrieben hast, auch wenn Dein:e Kund:in noch nicht gezahlt hat. Gerade bei langen Zahlungsfristen kann das die Liquidität belasten.
Praxisbeispiel zur Soll-Besteuerung
Angenommen, Du stellst am 10. April eine Rechnung über 5000 € zzgl. 19 % Umsatzsteuer aus. Die Überweisung trifft jedoch erst am 20. Mai ein. Trotzdem musst Du die 950 € Umsatzsteuer bereits im April ans Finanzamt melden und abführen – und zwar spätestens bis zum 10. Mai, wenn Du monatlich meldest.
Was ist die Ist-Besteuerung?
Bei der Ist-Versteuerung zahlst Du die Umsatzsteuer erst, wenn Deine Kund:innen auch wirklich bezahlt haben. Die Steuerpflicht entsteht somit nicht bei der Rechnungserstellung, sondern erst beim Zahlungseingang. Die gesetzliche Grundlage dafür bildet § 20 UStG.
Diese Methode ist vor allem für Selbstständige, Freiberufler:innen und kleinere Unternehmen attraktiv – also besonders in Kombination mit der Einnahmenüberschussrechnung, da beide Verfahren auf tatsächlichen Zahlungseingängen basieren. So musst Du keine Umsatzsteuer vorfinanzieren und bleibst finanziell flexibel, auch wenn Zahlungen später eingehen.
Praxisbeispiel zur Ist-Besteuerung
Du stellst am 10. April eine Rechnung über 5000 € netto plus 950 € Umsatzsteuer aus. Die Zahlung erfolgt am 20. Mai. In diesem Fall musst Du die 950 € erst in der Umsatzsteuervoranmeldung für Mai angeben, nicht schon im April.
Vor- und Nachteile der Soll-Besteuerung im Überblick
Die Soll-Besteuerung ist vor allem für größere Unternehmen mit stabilem Cashflow geeignet. Für kleinere Betriebe kann sie zur Belastung werden – vor allem, wenn Kund:innen spät zahlen.
Vorteile:
- klare Übersicht über offene Forderungen und Steuerverpflichtungen
- gute Planbarkeit von Umsätzen und Steuerabgaben
- geeignet für Unternehmen mit regelmäßigem Zahlungseingang
Nachteile:
- mögliche Liquiditätsprobleme bei ausbleibenden Zahlungen
- Abführung der Umsatzsteuer bereits bei Rechnungsstellung
- höheres Risiko bei langen Zahlungszielen
Vor- und Nachteile der Ist-Besteuerung im Überblick
Die Ist-Besteuerung bietet kleinen Unternehmen mehr finanziellen Spielraum. Sie schützt vor Engpässen, erfordert aber etwas mehr Aufwand in der Buchhaltung.
Vorteile:
- bessere Liquidität, da Steuer erst bei Geldeingang fällig wird
- Schutz vor Umsatzsteuer auf unbezahlte Rechnungen
- ideal bei längeren Zahlungszielen und schwankendem Cashflow
Nachteile:
- nur bei Umsatz bis 800.000 € bzw. bei Freiberufler:innen möglich
- genaue Dokumentation der Zahlungseingänge nötig
- zusätzlicher Buchhaltungsaufwand bei vielen kleinen Transaktionen
Wer darf die Ist-Besteuerung nutzen?
Nicht alle Unternehmen dürfen automatisch zur Ist-Besteuerung wechseln. Entscheidend ist der Gesamtumsatz im Vorjahr: Wer nicht mehr als 800.000 € erwirtschaftet hat, kann beim Finanzamt einen Antrag auf Ist-Besteuerung stellen – unabhängig von der Rechtsform.
Auch Freiberufler:innen dürfen die Ist-Besteuerung nutzen, und das ohne Umsatzgrenze. Die Buchführungspflicht spielt bei der Einschätzung keine Rolle: Bilanzierungspflichtige Unternehmen dürfen die Ist-Besteuerung ebenfalls anwenden, solange sie unterhalb der Umsatzgrenze bleiben.
In begründeten Ausnahmefällen kann das Finanzamt zusätzlich eine Genehmigung nach § 148 AO erteilen – zum Beispiel bei besonderen wirtschaftlichen Härten.
Hier ist ein Überblick über die Regelungen:
Unternehmensform | Ist-Besteuerung möglich? |
Einzelunternehmer:in / Kleingewerbe | Ja, bei Umsatz bis 800.000 €/Jahr |
Freiberufler:in | Ja, immer |
GbR (gewerblich) | Ja, bei Umsatz bis 800.000 €/Jahr |
OHG, UG, GmbH, KG, AG (Kapitalgesellschaften) | Ja, bei Umsatz bis 800.000 €/Jahr |
Wie beantragst Du die Ist-Besteuerung?
Wer die Ist-Besteuerung nutzen will, muss sie beim Finanzamt beantragen – sie gilt nicht automatisch.
Schritt 1: Voraussetzungen prüfen
Bevor Du den Antrag stellst, solltest Du prüfen, ob Du die gesetzlichen Bedingungen erfüllst – vor allem die Umsatzgrenze von 800.000 € im Vorjahr nach § 20 UStG. Für Freiberufler:innen gilt keine Umsatzgrenze. Sie dürfen die Ist-Besteuerung grundsätzlich immer nutzen.
Schritt 2: Antragstellung beim Finanzamt
Der Antrag erfolgt formlos, entweder schriftlich per Brief oder digital über ELSTER. Wichtig: Gib an, ab wann die Ist-Besteuerung gelten soll, beispielsweise ab dem 1. Januar des laufenden Jahres. Manche Finanzämter verlangen ergänzend ein separates Formular, Du solltest Dich daher frühzeitig über den Ablauf erkundigen.
Schritt 3: Übergangsphase beachten
Die Ist-Besteuerung gilt nach Genehmigung nicht rückwirkend. Du solltest Deine Buchhaltung zum Umstellungszeitpunkt passend sortieren und gegebenenfalls mit Deiner Steuerberatung abstimmen.
Praxis-Tipps: Optimale Nutzung der Ist-Besteuerung
Die Ist-Besteuerung passt besonders gut, wenn Du eine Einnahmenüberschussrechnung nutzt, denn beide Methoden basieren auf dem Zuflussprinzip. Hierbei zählen Einnahmen und Ausgaben erst, wenn Geld tatsächlich fließt. Das vereinfacht nicht nur die Buchhaltung, sondern schafft auch mehr Spielraum bei der Liquiditätsplanung.
Ein häufiger Fehler ist die falsche Zuordnung oder verspätete Erfassung von Zahlungseingängen. Achte deshalb darauf, dass Du alle Zahlungseingänge korrekt dokumentierst und dem passenden Zeitraum zuweist – sonst kann es zu Fehlern bei den Umsatzsteuer-Voranmeldungen kommen.
Wenn Du mit einem hohen Forderungsbestand arbeitest, bringt die Ist-Besteuerung besonders große Vorteile: Du musst die Umsatzsteuer erst zahlen, wenn das Geld wirklich da ist. Das senkt das Risiko von Liquiditätsengpässen und gibt Dir mehr finanziellen Spielraum, was gerade in der Wachstumsphase hilfreich ist.
FAQ
Wer legt fest, ob Du die Ist- oder Soll-Besteuerung anwenden darfst?
Das Finanzamt entscheidet auf Antrag, ob Du die Ist-Besteuerung nutzen darfst. Diese ist gesetzlich in § 20 UStG geregelt. Die Wahl hängt von Deinem Umsatz, Deiner Rechtsform und Deiner Tätigkeit ab.
Wann lohnt sich die Soll-Versteuerung für Dein Unternehmen?
Wenn Dein Unternehmen regelmäßig Zahlungseingänge hat und Du über einen ausreichenden Cashflow verfügst, kann die Soll-Besteuerung sinnvoll sein – beispielsweise bei großen Firmen mit kurzen Zahlungszielen oder im B2B-Geschäft.
Wann kannst Du von der Soll- auf die Ist-Versteuerung umstellen oder umgekehrt?
Ein Wechsel ist grundsätzlich jederzeit möglich, muss aber beim Finanzamt beantragt und genehmigt werden. Die Umstellung gilt nur für zukünftige Besteuerungszeiträume und sollte gut vorbereitet sein.
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